Okinawa karate kata
Okinawa Karate Kata Eine Einführung in die Kunst, Kata zu verstehen. Seite 2 von 97 Okinawa Karate Inhalt Inhalt 2 Vorwort 3 Geleitwort von Dieter Fischer . 3 Hinweise zur Benutzung 4 Die Entwicklung des Karate 6 Okinawa . 7 Der chinesische Einfluss 9 Das Waffenverbot . 11 Die Entwicklung zum Naha Te Kenpo . 12 Higashionna Kanryo 12 Das Kojo Dojo in Fukushu 14 Miyagi Chojun - Die Entwicklung zum Goju Ryu 15 Mabuni Kenwa . 16 Die Entwicklung zum Karate Do 17 Das Treffen der Meister 1936 20 Die Kata . 22 Die technische Bedeutung der Kata . 27 Die Prinzipien Hi, To und Yu . 32 Kata als Quelle der Gesundheit . 34 Die Namen der Kata 35 Die vier Phasen des Lernens 36 Saifa Kata Darstellung und Geisetsukumite 38 Kata Erklärungen . 45 Seienchin Kata Darstellung und Geisetsukumite . 49 Kata Erklärungen . 60 Shisochin Kata Darstellung und Geisetsukumite . 63 Kata Erklärungen . 72 Naihanchi Kata Darstellung und Geisetsukumite 75 Kata Erklärungen . 82 Ogi - tiefste Technik . 84 Kwappo Jutsu - Die Kunst der Wiederbelebung 87 Anhang . 90 Biographische Daten 92 Die Kata Okinawas 94 Okinawa Karate Schulen und ihre Kata 95 Die 7 klassischen Tänze Okinawas 97 Seite 3 von 97 Okinawa Karate Vorwort In Japan gibt es die Sorge vieler Lehrer des Budo, was ein Ausländer wohl über japanische Kriegskünste zu sagen haben kann? Ist denn jemand aus einer anderen Kultur wirklich in der Lage, Budo und seine tiefen Traditionen zu verstehen und zu erklären? Ich kenne Dirk Ludwig seit vielen Jahren. Er übt und studiert sowohl Karate als auch Kobudo sehr fleißig und ich war tief beeindruckt, weil er Budo nicht nur als Kampfsport verstand, sondern den Geist der Kampfkünste für sehr wichtig hielt. Trotzt der glänzenden Welt des Wettbewerbs im modernen Karate, übt er hauptsächlich Bujutsu. Seine Überzeugung und Liebe zu den Kriegskünsten kann zu einem Signal auch für Japaner, in der Heimat des Karate, werden. Ich freue mich darauf, auch in der Zukunft mit Herrn Ludwig nicht nur Karate und Kobudo zu trainieren, sondern Budo und Künste, wie z.B. Teezeremonie und Zen, zusammen zu erleben um daran zu wachsen. Dirk, gambari masu! Wir wollen uns weiterhin bemühen. Tanaka Hiromasa Karate Do Shihan Geleitwort von Dieter Fischer Sicher - es gibt heute viele Bücher über Martial Arts. Aber es gibt auch immer mehr Fragen. Schon aus diesem Grund ist es zu begrüßen, wenn im vorliegenden Werk Aspekte zur Sprache kommen, die in der bisherigen Forschung eher vernachlässigt wurden. Denn häufig stellt sich uns der Sinn und die Bedeutung unserer Kampfkunst wie ein Puzzle dar, das sich zwar allmählich zusammensetzen lässt, deren entscheidenden Bausteine wir jedoch nur von guten Lehrern erhalten. Meinen Erfahrungen nach ist es auch eine Illusion, die tieferen geistigen Inhalte des Karate mit all seinen mythischen Geheimlehren für sich allein oder über das pure Üben entschlüsseln zu wollen. Aber - so geheim waren die Lehren letztendlich doch nicht . Dieses Buch verbindet in einer einfachen und dadurch besonders guten Mischung die soziologischen mit kulturellen sowie technischen Aspekten der Okinawa Kata und gibt einen tiefen Einblick in das geschichtsträchtige Inselreich. Es ist als deutschsprachige Ausgabe eine Rarität - ungewöhnlich im positiven Sinne, gut recherchiert und mitunter von einer Klarheit der Sprache, die recht erfrischend ist. Ich kenne Dirk Ludwig seit vielen Jahren und habe ihn als außergewöhnlichen Karateka kennen- und schätzen gelernt - ein Karateka, der die Kampfkunsttechniken bis ins kleinste Detail hinterfragt. Wie ich selbst ist er ein klarer Verfechter des alten Karate und trotzdem - oder gerade deshalb - auch dem modernen gegenüber aufgeschlossen. Obwohl wir aus verschiedenen „Schulen" kommen, hatten wir von vornherein einen Gedanken: Kampfkunst hat in seiner historischen Bedeutung weniger mit schönen, als vielmehr mit realistischen Techniken zu tun und die persönliche Vervollkommnung setzt voraus, eigene Stärken zu entwickeln. Denn die Prinzipien aller Kampfkünste gleichen den Gesetzen des Universums. „Welchen Stil betreibst Du?", „Welches ist die beste Technik?" oder „Wer trainiert in welcher Schule?" Diese Fragen und dazugehörigen Urteile sollten wir aus unserem Denken streichen, ohne aber deshalb unsere Wurzeln zu verleugnen. Entscheidend ist vielmehr, „mein persönliches" Karate zu entwickeln. Insofern will dieses Buch Wege zeigen, wie aus Kata individuelle physische und psychische Stärken gewonnen werden können. Seite 4 von 97 Okinawa Karate Hinweise zur Benutzung Die Kunst, Kata zu verstehen, ist abhängig vom persönlichen Standpunkt des Betrachters. Insofern ist auch die Übung der Kata abhängig von diesem Standpunkt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob nun diese oder jene Richtung des Bujutsu geübt und ob der Weg mit einem Schwert, der Faust oder einer Tasse Tee gegangen wird. Entscheidend ist vielmehr die individuelle Einstellung, und zwar sowohl physisch als auch psychisch. Insofern will dieses Buch seinen Leserinnen und Lesern neue, andere und vielleicht inspirierende Gedanken vermitteln. Im Fokus steht deshalb, verschiedene Hilfestellungen zu geben, wie der eigene Weg gefunden werden kann. Bei der Beschreibung geschichtlicher Zusammenhänge bin ich mir wohl bewusst, dass nur eine Annäherung an die Historie möglich ist, sind doch japanische Quellen oft ungenau oder von politischen Interessen einzelner Organisationen durchdrungen. Auch lässt sich der Grundsatz, verschiedene Theorien gegenüber zu stellen, nicht in jedem Fall beherzigen. Soweit sie von mir recherchiert werden konnten, habe ich sie durch Anmerkungen und Fußnoten deutlich gemacht. Ich weiß, sie sollten in den Text eingearbeitet werden - die Leser mögen es mir nachsehen. Dazu kommt das die zur Zeit diskutierten Theorien, in den meisten Fällen, noch nicht veröffentlicht werden sollten. Es handelt sich hier um erste Ansätze welche aber, in den kommenden Jahren, gewiss noch einige sehr interessante Schlüsse in die Forschung einbringen werden. Oft genug wurden aber auch die Nuancen, in der Sprache der Originaldokumente, sowie sich daraus ergebende unterschiedliche Bewertungen nicht hinreichend genug verstanden und übersetzt. Auch wenn ich mit einigen Schlüssen anderer Forscher nicht immer einverstanden bin, achte ich sie und danke ihnen ausdrücklich für ihre Mühe und ihren Fleiß, ohne den meine eigene Arbeit nicht so stark profitieren konnte. In den Anhang ist einiges Material eingefügt, das - so meine ich - von Interesse sein kann. Sollte ich in einigen Punkten irren, habe ich falsch oder unzureichend zitiert und übersetzt sowie falsche Schlüsse gezogen, bitte ich Sie, sich mit mir in Verbindung zu setzten, damit ich meine Fehler berichtigen kann. Übersetzungen und Zitate längerer Passagen habe ich deutlich gekennzeichnet, einzelne kleinere Abschnitte sind durch das Literaturverzeichnis abgedeckt. Das Gewirr von Fußnoten wäre zu groß für einen Lesegenuss. Für die meisten Begriffe benutze ich die japanische Aussprache. Ich denke, dass dadurch die Beziehungen klarer herausgestellt werden können und sich eine einheitliche Leseweise ergibt. Da die Entwicklung des Karate eng mit der japanischen Sprache und Kultur verknüpft ist, sollte dies gerechtfertigt sein, zumal sowohl die Veröffentlichung des Karate, als auch die Beschreibung und Erklärung im Wesentlichen in der japanischen Sprache stattgefunden haben und die heute noch bekannten chinesischen Begriffe zum Teil auf Vermutungen basieren. Durch die Geheimhaltung wurden keine Aufzeichnungen gemacht und fast alle bekannten chinesischen Namen sind lediglich durch Lautumschrift überliefert. Ein Beispiel dafür gibt Funakoshi Gichin in seinen original Manuskripten. Es ist mir ein großes Anliegen, das Okinawa Karate als ein stilfreies Universum der Kampfkünste darzustellen. Ich benutze zwar einige Kata, die mir wichtig sind und durch welche sich meine Auffassungen am ehesten widerspiegeln, aber ich bin sicher, alle nicht beschriebenen Kata gehören ebenso dazu. Das Wichtigere als Schulen, Ryu oder Stile sind die Prinzipien der Kampfkunst, die eben auf alle anderen Schulen genauso zutreffen und hier besprochen werden sollen. Sicher ist jedoch nur eines: Jeder soll seine Kata finden, bei deren Üben er/sie sich wohl fühlt. Andere wesentliche Punkte sollen einem weiteren Band, an dem ich arbeite, vorbehalten sein. Lasse dich inspirieren und anregen, tiefer in die Kunst, Kata zu verstehen, einzudringen. Seite 5 von 97 Okinawa Karate Abb. 1 Onegai shimasu (ouss) Bitte hilf mir 1 Diese Kalligraphie ist ein Geschenk von Tanaka Hiromasa Sensei, meinem Lehrer. Ich verdanke ihm das Wichtigste: Zu wissen, wie hart ich noch üben muss. 1 Gewöhnlich wird diese Formel gebraucht, um zum Kami-Za, dem Sitz der Götter, um Hilfe bei der Bewältigung der Aufgabe zu bitten. Seite 6 von 97 Okinawa Karate Die Entwicklung des Karate Die historische Forschung sichtet, archiviert und analysiert Quellenmaterial, mit Hilfe dessen versucht wird, ein recht genaues Bild von den Bedingungen zu bekommen, welche die Entwicklung des Karate ermöglicht, geprägt oder verhindert haben. In jedem Fall gilt, je weniger Quellenmaterial zur Verfügung steht, desto mehr muss sich der Forscher auf eigene analytische Fähigkeiten bei der Wertung verlassen. Da ein historisches Faktum immer von vielen Einflüssen abhängig ist, muss die Analyse zwingend alle Tatsachen, auch wenn sie scheinbar keine Rolle spielen, mit einbeziehen. Im Falle des Karate stellt sich deshalb eine Hauptaufgabe: Es müssen die soziologisch-kulturellen Gegebenheiten stärker als bisher üblich in die Forschung integriert werden. Diese Betrachtung liegt auf der Hand, denn einige Techniken in den Kata reflektieren eben diese soziologisch-kulturellen Bedingungen sehr genau, wie beispielsweise die lange und weite Kleidung, der Haarknoten, die Art und Weise, den Gürtel zu binden und anderes mehr. Überdies erscheint mir die gesammelte Veröffentlichung des vorhandenen Quellenmaterials dringend geboten, denn die aktuelle Forschung orientiert sich, noch, zu stark an etwaigen politischen Präferenzen und spiegelt dieses Bemühen in ihren Arbeiten wider. Eine Analyse der Entwicklung des Karate kann jedoch nur unter Einbeziehung aller zur Verfügung stehenden Daten und Fakten gelingen. Zur Einführung beschreibe ich kurz die japanische Gesellschaft dieser Zeit. Sie steht mit gewissen Einschränkungen für die okinawanische und bietet die Möglichkeit, einige der angesprochenen soziologischkulturellen Bedingungen in Okinawa besser zu verstehen. Die Organisierung der Gesellschaft in sozialen Gruppen war im gesamten asiatischen Raum ähnlich und hat daher die okinawanische Gesellschaft mit beeinflusst. Dazu kommt, dass Okinawa sowohl mit China als auch mit Japan in engen Kontakt stand. Unter welchen Bedingungen dies geschah, wird in diesem Buch zu beschreiben sein. Dennoch gilt der Einfluss Japans auf Okinawa als gesichert und ist vermutlich stärker, als bisher angenommen. Ich möchte fast behaupten, dass die chinesische Kultur zwar einen großen Anteil an der okinawanischen Entwicklung hatte, aber doch partiell begrenzt blieb. Man bedenke, die Satsuma überfielen und besetzten Okinawa. Selbstverständlich brachten sie ihre Auffassungen sowie ihre Kultur mit und verbreiteten sie über mehrere Jahrhunderte. Zudem soll die Sprache Okinawas ein japanischer Dialekt sein. Der erste König von Okinawa soll einer Verbindung zwischen einer Frau von Okinawa und einem Japaner entstammen. Viele okinawanische Adelige gingen nach Kyushu und lernten dort den Schwertkampf. Diese Beziehungen sind unter anderem durch die Chronik Oshima Hikki 2 belegt. Die verbreitetste Schwertschule in Okinawa war Jigen Ryu, die bevorzugte Schule der Satsuma in Kyushu. Auch heute noch ist eine sehr enge Beziehung zwischen Okinawa und Kyushu zu beobachten. Die Beschreibung der chinesischen Gesellschaft darüber hinaus würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Die Leserinnen und Leser mögen mir dies verzeihen. Die japanischen Inseln sind seit mehr als 100.000 Jahren besiedelt, einer Zeit, als sie noch Teil der Landmasse Asiens waren. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts wurde in Nara die erste feste Hauptstadt des Landes errichtet. Mehr als 70 Jahre, von 710 bis 784, residierte dort die kaiserliche Familie und dehnte ihre Herrschaft über ganz Japan aus. Der japanische Kaiser, Tenno, der seine Herkunft von der Sonnengöttin Amaterasu no Kami ableitete, war das Oberhaupt dieser Gesellschaft. Seit dem 7. Jahrhundert erstarkten jedoch die territorialen Machthaber, deren jeweils stärkster als Shogun ab dem 8. Jahrhundert die Regierungsgewalt ausübte, während dem Tenno nur noch kultische Funktionen zukamen. Im Laufe von mehreren Jahrhunderten entwickelte sich die japanische Gesellschaft zu einem feudalen Ständesystem. Dieser Prozess setzte im 13. Jahrhundert ein und wurde gegen 1600 abgeschlossen. Ab dem 12. Jahrhundert gingen die Fehden der Feudalherren in einen permanenten Krieg über, so dass die Bedeutung der Krieger stark zunahm. Das spiegelte sich auch in dem von Shogun Yoritomo geschaffenen Ständesystem wider, das die Bevölkerung in zwei Gruppen einteilte; 1. höhere Kaste Shogun 3 , Daimyo 4 und Samurai 5 2. niedere Kaste Bauern, Handwerker, Kaufleute 2 Oshima Hikki , geschrieben 1762 von dem Gelehrten Tobe Ryoe 3 Militärverwalter 4 höhere Edelleute 5 eigentlich Diener, ihrer Bedeutung nach Ritter Seite 7 von 97 Okinawa Karate Alle darüber hinaus existierenden Gruppen wurden und werden fast völlig ignoriert. Dies betrifft vor allem sogenannte unreine Berufe, wie Fleischer 6 , die koreanische Minderheit und andere. Zur Aufrechterhaltung dieser Gesellschaftsstruktur war es nötig, sich einen ausgedehnten Unterdrückungsapparat zu schaffen. Die Samurai wurden zu diesem Zweck mit weitreichenden Privilegien ausgestattet. Sie besaßen zum Beispiel Steuerfreiheit und das Recht, einen Angehörigen der niederen Kaste auf der Stelle zu töten. Diese Samurai wurden auf alle Landesteile verteilt und als Polizisten und Steuerbeamte eingesetzt. In der Zeit von 1599 - 1867 waren ca. 1.240 Bauernaufstände zu verzeichnen. Allgemein dauerten vom 10. Jahrhundert bis in das 12. Jahrhundert hinein die Machtkämpfe zwischen dem Taira und dem Minamoto Clan, in deren Verlauf die Taira unterlagen. Da sie immer noch viele Anhänger besaßen und ihre Macht keineswegs endgültig gebrochen war, wurden sie mit einem Lehen auf Okinawa bedacht. Shogun leasu aus dem Clan der Tokugawa gründete 1603 sein Shogunat in Edo, dem heutigen Tokyo. Dies war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte. Die von Ieasu geschaffenen Formen des Zusammenlebens beeinflussten die kommenden 265 Jahre stark. Als eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der sozialen Struktur unternahm er den drastischen Schritt, Japans Tore vor der Außenwelt fast vollständig zu schließen. Dies wurde notwendig, weil 1543 die ersten Europäer in Japan gelandet waren. Im Gefolge der Kaufleute befanden sich Jesuiten. Ieasu befand die Feuerwaffen als ebenso explosiv und gefährlich wie die Missionare. Nach dieser Zeit der Abschottung wurde Japan 1853 von dem amerikanischen Kommodore Matthew C. Perry mit seinen Kanonenbooten für den Handel geöffnet und die lange Isolationsperiode beendet. Mit Japan verbindet Okinawa eine lange Geschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Allerdings wird wohl viel im Dunkel verbleiben und nie ganz aufgehellt werden können. Dennoch ist das, was sich offenbart, überaus interessant für das Verständnis der Tradition der Kampfkünste Okinawas. Okinawa Die Vorgeschichte Okinawas ist heute nahezu ungeklärt. Sicher gibt es Fakten und Funde, die allerdings für uns im Rahmen dieser Betrachtung nicht so interessant sind. Erste Kontakte mit China fanden während der Sui 7 Dynastie statt. Der chinesische Kaiser war auf der Suche nach dem Mythos der Unsterblichkeit und der Verfahren der Herstellung von Gold aus Metall. Der Legende nach sollte es irgendwo im Meer eine Insel geben, auf der ein Pilz der Unsterblichkeit zu finden sei. Zu diesem Zweck schickte er Expeditionen in benachbarte Regionen. Sie landeten unter anderem auf Okinawa. Japanische Expeditionen sind im 7. und 8. Jahrhundert ebenfalls auf Okinawa gelandet. Danach gibt es für lange Zeit keine verlässlichen Aufzeichnungen, weder in chinesischen, japanischen noch in okinawanischen Quellen, die über Kontakte berichteten. Zudem ist für die Geschichte des Karate die Zeit spätestens ab dem 12. Jahrhundert interessant, weil sich hier erste Zusammenhänge zu einer Entwicklung der Kampfkünste deuten lassen. Dennoch gilt: Kontakte sind nicht auszuschließen und fehlende Quellen kein Indiz. Um 1340 war Okinawa in drei Königreiche 8 geteilt. Der chinesische Kaiser Chu Yuen Cheang der Ming Dynastie stimmte damals zu, einen persönlichen Gesandten des Königs Satto der Ryu Kyu Dynastie zu empfangen. Nach historischen Aufzeichnungen kam diese Einladung auf Wunsch des Königs Satto selbst zustande, um andere mit seinem Status zu beeindrucken. König Satto sandte seinen Bruder Taiki mit Huldigungen für den Kaiser nach China. Dies war der Beginn einer langen Beziehung zwischen China und Okinawa.1372 wurde die Ryu Kyu Dynastie 9 von dem chinesischen Kaiser formell als ein Staat von China anerkannt. 6 Fleischer sind z.B. unrein, weil sie mit Innereien arbeiten. Im heutigen Japan sind diese Ausgrenzungen zwar nicht mehr so stark, aber Vorurteile halten sich genau so hartnäckig wie in unseren Breiten. 7 Sui Dynastie 560 – 618 8 Nanzan Chuzan und Hokuzan auch Miyama (drei Berge) genannt. Um 1314 setzte der Prozess der Spaltung der drei Reiche ein und wurde gegen 1477 abgeschlossen. Um 1350 zerfiel das nördliche Reich und um 1429 das südliche der drei Reiche. 9 China verhandelte mit Chuzan, dies war das zu dieser Zeit stärkste der drei Reiche. Seite 8 von 97 Okinawa Karate Der Ming 10 Kaiser war daran interessiert, eine gute Beziehung zu Okinawa zu fördern. Deshalb schickte er jedes Jahr seine Gesandten mit Geschenken dorthin. In Okinawa wurden diese Delegationen mit viel Aufregung in der Königsresidenz in Shuri empfangen, und zwar bis 1867, also sogar nach der Invasion des japanischen Satsuma Clans 1609. Unter den damaligen Delegierten waren neben anderen erfahrenen Leuten viele Meister des Kenpo. Während ihres Aufenthaltes in Shuri und Naha lehrten sie ihre Kunst den okinawanischen Adligen und einigen Angehörigen ihres Standes. Die Ryu Kyu Dynastie sandte bis 1874 jedes Jahr Schiffe nach China, die mit Kostbarkeiten für den Kaiser gefüllt waren. Abb. 2 Okinawa und seine Hauptschlösser zur Zeit der drei Reiche. Diese Zeit war gekennzeichnet durch eine lange Periode politischer Machtkämpfe. In deren Verlauf die drei Reiche geeint wurden und zu einem Gemeinwesen verschmolzen. Siehe auch Fußnoten 8 und 9. Um diese Geschenke vor Piraten und Plünderern zu schützen, waren sowohl die Mannschaft als auch die mitreisenden Adligen gut bewaffnet und in den Kampfkünsten ausgebildet. So erscheint es glaubhaft, dass dies einer der Gründe war, warum sich auf so einer kleinen Insel die Kamptechniken zu einer kultivierten Kunst entwickelten. Okinawa musste in der Lage sein, diese Schiffsmissionen zu schützen. Es gibt heute drei recht verlässliche und belegbare Theorien, die für eine Entwicklung des Karate Zeugnis geben können. Kampfkunst, oder in der Zeit davor Kampftechniken, gab es in allen Epochen und in allen Kulturen der Menschheitsgeschichte, so auch in Okinawa. Aber dafür, dass sich eine so hohe Kunst entwickeln konnte, bedurfte es des chinesischen Einflusses. In dem Buch „1000 Jahre Geschichte von Okinawa" wird 1314 11 erwähnt, dass Bo Jutsu während der Anji 12 Zeit gelehrt wurde. Dies scheint ein Beleg dafür. Nachfolgend will ich diese drei Theorien kurz erläutern. 10 Ming Dynastie 1368 – 1644 11 Nach Inoue Motokatsu, Ryukyu Kobujutsu Jo Chu Ge Satsu (Ryukyu Kobujutsu. vol. 3), 1985 12 Anji Zeit 1127 – 1271 Seite 9 von 97 Okinawa Karate Allerdings muss auch hier klar sein, dass sich eine Entwicklung recht selten an nur drei Tatsachen messen lässt und sicher sind auch die Kampfkünste in ihrer Evolution von vielen Faktoren abhängig gewesen und sind es noch immer. Rückschlüsse aber lassen sich nur auf konkrete Tatsachen ziehen. Bei der Kultivierung des Karate haben sicherlich einige heute noch nicht bekannte Faktoren eine zuträgliche Rolle gespielt und sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Machen wir also nicht den Fehler, eine Entwicklung, welche sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte abgespielt hat, auf ein paar belegbare Theorien zu reduzieren. Unsere eigene Geschichte mag Anlass dafür sein, einen „größeren, weiteren" Blick für die Zeit in Okinawa zu bekommen. Abb. 3 Goju Ryu Karate Do Der chinesische Einfluss 1392 wurde während der Regierungszeit des Königs Satto eine Gemeinschaft von ausgebildeten chinesischen Kämpfern und Mönchen 13 in das okinawanische Dorf Kume gesandt, um dort zu leben. Damit waren die Menschen dieses Dorfes verantwortlich für die Angelegenheiten des Handels und der Kommunikation zwischen China und Okinawa, beispielsweise für die Verteilung und Veröffentlichung der diplomatischen Dokumente und die Ausstattung der Boten, Dolmetscher und Schiffsführer. Diese Chinesen, die sich in Kume niedergelassen hatten, lehrten den dort ansässigen Menschen das chinesische Kenpo. Als Folge gingen okinawanische Adlige für einige Zeit nach China, um dort an der Quelle Kenpo zu studieren. Die Ryu Kyu Niederlassung 14 , die sich zu dieser Zeit in der Provinz Fukushu (heute Fukien/China) durch den okinawanischen König etabliert hatte, beherbergte diese Leute. Dort befand sich auch das spätere Kojo Dojo, das für die Entwicklung des Naha Te Kenpo interessant sein wird. Ein Resultat der Ära des Königs Satto war, dass das chinesische Kenpo schnell in Okinawa eingeführt wurde. 1701 markiert einen weiteren Schritt des chinesischen Einflusses: Wanshu kommt nach Okinawa. Es gibt hierzu keine oder fast keine Belege. Dennoch scheint es sicher, dass er im Zuge der chinesisch- okinwanischen Beziehungen in Okinawa gearbeitet hat und Kenpo verbreitete. Die Ausbildung in den Kampfkünsten gehörte in jener Zeit, neben dem Studium der Klassiker, zum Standart für Angehörige der Oberschicht. Eine weitere Theorie besagt, dass Kushanku oder auch Kosukun 15 das Karate nach Okinawa gebracht haben soll und der Lehrer von Sakugawa gewesen ist. Dieser Theorie zufolge wurde im Jahre 1762 ein Schiff nach Kyushu mit Abgaben für den Okinawa beherrschenden Satsuma Clan gesandt. Jedoch konnte das Schiff Kyushu nicht erreichen und landete in Tosa, der alte Name für die Provinz Kochi auf der Insel Shikoku. Ein Passagier war nach den alten Unterlagen Shiohira Pechin, ein offizieller Gesandter Okinawas, welcher die kämpferischen Traditionen Okinawas erklärte. Im Kapitel drei der alten Chronik „Oshima Hikki" wird der Dialog mit Shiohira Pechin geschildert. Dort ist zu lesen, dass Kosukun oder Kushanku von 1756 bis 1762 mit einigen seiner Schüler nach Okinawa kam. Wörtlich heißt es: „ .Der chinesische Gesandte Gong Xiangjun kam in Begleitung mehrerer Schüler nach Okinawa, wo er der heimischen Bevölkerung die Tradition einer der Kenpo Richtungen übergab." Sicher ist dies eine der verlässlichsten Quellen 16 . 13 Dies sind die sogenannten 36 Familien. Hauptziel ihrer Arbeit in Okinawa war es, die chinesische Kultur nach Okinawa zu bringen und den Kontakt zu China aufrecht zu erhalten. 14 Ryu Kyu Kann 15 Kushanku - chinesisch, Kosukun -japanisch, auch bekannt als Gong Xiangjun 16 Dieses Manuskript scheint auch einen Beleg dafür zu liefern, dass die Geheimhaltung eben doch nicht so Streng gehandhabt wurde, wie vielfach, gerade in Europa, angenommen wird. Die Geheimhaltung betraf demzufolge jene Gruppen der Gesellschaft, die auch sonst als „niedrig" angesehen wurden. In den eigenen Klassen jedoch gab es einen regen Austausch, ohne diesen eine so hohe Kunst auch nicht entstehen konnte. Seite 10 von 97 Okinawa Karate China war zu dieser Zeit die prägende Kultur im asiatischen Raum und mit der Entdeckung des Schießpulvers, des Papiers und vieler anderer Dinge eine der großen Kulturen der Welt. Die Kampfkünste sind von mehreren wesentlichen Faktoren bestimmt worden. Zum einen ist die traditionelle chinesische Medizin sowohl integraler Bestandteil als auch Motor bei der Entwicklung der Kampftechniken zu einer so hohen Kunst gewesen. Zum anderen ist der Einfluss der Religion und Philosophie unübersehbar. Aber auch die feudalistischen Gesellschaftsmaxime sind zu berücksichtigen. Sie tragen zweifellos einen Hauptanteil und sind für die Kampfkünste von erheblicher Bedeutung. Wenn man bedenkt, dass im mittelalterlichen Japan Schwerter zum Teil an Verurteilten oder vermeintlichen Verbrechern „getestet" wurden, mag dies deutlich werden. Die Bedingung dafür ist ein Bild des Menschen, wie es in feudalistischer Zeit existierte. Experimente an Menschen oder Tieren waren bis in das 19. Jahrhundert hinein durchaus üblich und auch heute noch lesen wir in Geschichten von diesen Tatsachen. An diesen Gegebenheiten lässt sich ermessen, wie kompliziert es ist, einen Einfluss auch nur annähernd objektiv beschreiben zu wollen, ohne eine wertende Haltung einzunehmen. Karate ist für mich Lebensweg, und ich bin froh, es so studieren zu können, wie es heute ist. Gleichzeitig aber lehne ich die Mittel und Methoden der Frühzeit ab. Das ist Evolution, oder Lernen, im besten Sinne des Wortes. Die Veränderung der Gesellschaft setzt notwendigerweise auch einen Prozess der Veränderung gesellschaftlicher Ausdrucksformen in Gang. Karate ist zweifellos eine Ausdrucksform der menschlichen Kultur und hat diesen Veränderungsprozess in einzigartiger Weise reflektiert. Denken wir im Rahmen dieser Betrachtung einmal an die Einführung der Feuerwaffen und der damit verbundenen drastischen Erweiterung der kriegerischen Möglichkeiten in unseren Breiten. Die deutliche Verbesserung der Transporttechnik etwa hatte zur Folge, dass nun mit einem Schlag viel größere Heere über ausgedehntere Distanzen „bewegt" werden konnten und, gewissermaßen als Resultat, waren die Feinde viel weiter entfernt, was sich eben auch in der Ausdrucksform unserer Kultur, in unserem Denken und Handeln niederschlug. Abb. 4 Waffen des Okinawa Kobudo. Dieses Bild zeigt einen Teil der Sammlung von Inoue Motokatsu, dem Nachfolger von Taira Shinken. . Okinawa Karate Kata Eine Einführung in die Kunst, Kata zu verstehen. Seite 2 von 97 Okinawa Karate Inhalt Inhalt . Die Kata Okinawas 94 Okinawa Karate