2. Negationsmittel im Deutschen und im Vietnamesischen:
2.2. Die deutschen und die vietnamesischen Negationsmittel
2.2.5.5. đừng und chớ
Neben der gemeinsamen Bedeutungen144 haben đừng und chớ auch folgende
Unterscheidungsmerkmale.
In dem Großwörterbuch der vietnamesischen Sprache werden đừng und chớ darin
unterschieden, dass đừng verwendet wird, wenn man die Entstehung einer Aussage,
einer Meinung oder einer Handlung verhindern möchte:145
Đừng nghĩ tiêu cực thế! (Denk nicht so negativ.)
Đừng chạy! (Lauf nicht!)
Währenddessen kann chớ nicht nur eine Verhinderung, sondern auch einen
Ratschlag darstellen:146
142 vgl. UBKHXHVN (1983: 259), vgl. Diệp Quang Ban (2004: 256), vgl. Nguyễn Đức Dân (1996: 324), vgl. Nguyễn Văn Chính (2010: 159),
143 vgl. Nguyễn Đức Dân (1996: 324)
144 siehe 2.2.3
145 vgl. Nguyễn Như Ý/Nguyễn Văn Khang/Vũ Quang Hào/Phan Xuân Thành (2013: 569)
Buổi tối chớ có ăn nhiều thế. (Iss abends nicht so viel! – Du sollst abends nicht
so viel essen.)
Đừng kann daneben auch ein Verbietensnegation (“phủ định cấm đoán”)147
verstanden werden. In diesem Sinne wird đừng genau wie không được betrachtet.148
Đừng bật điện. = Không được bật điện. (Mach das Licht nicht an. – Du darfst
das Licht nicht anmachen.)
Es ist außerdem noch zu behaupten, dass die Verneinung mit chớ strikter (dứt khoát
hơn) als mit đừng ist,149 d.h. đừng hat einen neutraleren Grad als chớ und daher wird đừng häufiger verwendet.150
2.3. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Negationsmittel im Deutschen und im Vietnamesischen
Auf der Grundlage der bisher Dargestellten lassen sich folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Verwendung von Negationsmitteln im Deutschen und im Vietnamesischen erkennen.
Zunächst weisen die beiden Sprachen Elemente auf, die einem negierten Satz entsprechen. Diese werden als Satzäquivalente bezeichnet (Im Deutschen: nein, im Vietnamesischen: không.) Beide werden als eine Möglichkeit der Antworten auf positive Entscheidungsfragen verstanden. Dennoch gibt es Unterschiede hinsichtlich des Gebrauchs dieser Satzäquivalente bei der Antwort auf negative Entscheidungsfragen. Während im Deutschen sehr deutlich geregelt wird, dass eine negierte Entscheidungsfrage nur durch nein bestätigt oder ihr wird durch doch
widersprochen, liegen in den vietnamesischen Grammatiken noch keine Regeln vor. Aus eignenen Erfahrungen kann man jedoch feststellen, dass die Vietnamesen nicht nur nein, doch sondern auch ja auf eine negative Entscheidungsfrage antworten.
147 Nguyễn Phú Phong (2002: 200)
148 vgl. Nguyễn Kim Thản (2008: 261), vgl. UBKHXHVN (1983: 261)
149 vgl. Nguyễn Minh Chính (2006: 91), vgl. Trương Chính (2009: 51), vgl. Nguyễn Như Ý/Nguyễn Văn Khang/Vũ Quang Hào/Phan Xuân Thành (2013: 290)
Darüber hinaus besteht noch ein weiterer Unterschied zwischen nein im Deutschen und không im Vietnamesischen. Während nein immer nur als Satzäquivalent
betrachtet wird, kann không sowohl als Satzäquivalent als auch als ein normales
Negationswort, das im Satz stehen kann:
Kommst du nicht mit? - Nein. Ich komme nicht mit. (*Nein. Ich komme nein
mit).
Bạn không đi cùng à? - Không, mình không đi cùng.
Das Deutsche und das Vietnamesische haben noch gemeinsam, dass jede Sprache ein Negationswort hat, das am häufigsten verwendet und daher als das wichtigste betrachtet wird. Im Deutschen spielt die Partikel nicht bei der Verneinung die größte Rolle. Paralell dazu ist die Negationspartikel không auch am häufigsten in
der vietnamesischen Sprache verwendet. Auf die Stellung von dieser zwei Negationswörtern nicht und không im Satz bezogen, besteht noch eine Gleichheit
vom Deutschen und Vietnamesischen: die Negation wird in zwei unterschiedliche Negationssorten gegliedert – die Sondernegation, bei der teils ganze Satzglieder, teils Satzgliedteile negiert werden, und die Satznegation, die die dem gesamten Satz zugrundeliegende Prädikation verneint. Im Vergleich zu dem Deutschen ist die Satznegation im Vietnamesischen aber viel einfacher, denn das vietnamesische
Negationswort không steht bei Satznegation immer vor dem Prädikat,
währenddessen ist die Position des deutschen Negationswortes nicht sehr
unterschiedlich, z. B. am Satzende, vor dem zweiten Prädikatsteil, vor Nominal- Ergänzung, vor Direktiv-Ergänzung, usw. Außerdem gibt es im Deutschen meist noch Alternativen für die Stellung von nicht, wobei stets die (intonatorische)
Hervorhebung oder oft auch der Kontext von Bedeutung sind. In dieser Hinsicht hat die vietnamesische Sprache keine so große Stellungsfreiheit wie die deutsche Sprache. Diese Verschiedenheit bereitet den vietnamesischen Deutschlernenden viele Herausforderungen bei der Bestimmung der Position des Negationswortes
Bezüglich der Satznegation gibt es noch einen Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Vietnamesischen. Während in der deutschen Sprache nur das
Negationswort nicht eine Satznegation bilden kann, stehen im Vietnamesischen
außer không noch andere Mittel zur Verfügung, beispielsweise chẳng/chả/chưa Ich weiß es nicht. (Tôi không/chẳng/chả/chưa biết việc đấy.)
In Übereinstimmung mit dem Deutschen wird die Bedeutung des Satzes bei Sondernegation im Vietnamesischen auch meistens durch die Kontrastivität mit mà
là(sondern) deutlicher erklärt.
Không phải tôi đi Hà Nội mà là bố tôi. (Nicht ich bin nach Hanoi gefahren,
sondern mein Vater.)
Anders als das Deutsche, in dem die Verneinung des Objektes häufig verwendet wird, benutzen die Vietnamesen stattdessen gerne die Negation des Prädikats. Sehr selten wird das Objekt im Vietnamesischen negiert.151 Es sei denn, dass vor dem Objekt nicht nur ein Negationswort, sondern auch das begleitende Wort phải
vorkommen. Sonst wird das Prädikat in den meisten Fällen verneint:
Objektverneinung im Deutschen: Ich kaufe keine Bücher, sondern Zeitschriften. Prädikatsverneinung im Vietnamesischen: Tôi không mua sách mà là mua tạp chí.
Objektverneinung im Vietnamesischen: Tôi mua không phải sách mà là tạp chí.
(*Tôi mua không sách mà là tạp chí.)
Dieser Unterschied im Gebrauch der Negationsmittel zwischen dem Deutschen und dem Vietnamesischen könnte noch dazu führen, dass viele Satzteilnegationen im Deutschen als Satznegationen im Vietnamesischen realisiert und verstanden werden. Das folgende Beispiel soll dies veranschaulichen:
Im Deutschen: Ich habe kein Geld. - Satzteilnegation
151 siehe 2.2.1.2
Im Vietnamesischen: Tôi không có tiền. (*Ich habe Geld nicht.) - Satznegation (Die Verneinung des Objektes: *Tôi có không tiền hat im Vietnamesischen
keinen Sinn).
Dies kann sich ergeben, dass vietnamesische Deutschstudierende das Negationswort
nicht oft statt kein gebrauchen, auch wenn ein Objekt verneint werden soll.
Ähnlich wie im Deutschen können im Vietnamesischen verschiedene Negationsmittel verwendet werden, um eine Verneinung zum Ausdruck zu bringen. Jedoch sind die vietnamesischen Negationswörter nicht so vielfältig wie die in der deutschen Sprache. Während im Deutschen sehr viele Wortarten beispielsweise substantivische Pronomina (keiner, niemand, nichts), Adverbien (nie, niemals,
nirgends, nirgendwo, nirgendwohin, nirgendwoher), Artikelwörter (kein, keinerlei),
Modalwörtern (keinesfalls, keineswegs), Präpositionen (ohne, statt, außer, anstelle), Konjunktionen (weder … noch), Subjunktionen (ohne dass, anstatt dass, außer
dass) zur Verneinung verwendet werden, werden im Vietnamesischen hauptsächlich
nur Partikel (không/chẳng/chả/chưa/đừng/chớ) benutzt. Meistens gebrauchen die
Vietnamesen không oder seine Kombination mit anderen positiven Wörtern zur
Bildung anderer Negationsausdrücke, indem das Negationswort không immer
unverändert bleibt. Im Gegensatz dazu befinden sich im Deutschen zahlreiche unterschiedliche Negationswörter, die durch die Verbindung von Negation und entsprechenden positiven Wörtern neu gebildet werden:
Im Vietnamesischen Im Deutschen
không = nein
không đẹp = nicht schön
không ai = niemand (Neg. + jemand)
không sinh viên nào = keine Studenten (Neg. + Nullartikel) không bao giờ = nie/niemals (Neg. + je/jemals)
không nơi nào = nirgends/nirgendwo (Neg. + irgendwo)
Hingegen gibt es im Vietnamesischen viele Strukturen zur Widerlegung einer Äußerung im vorangehenden Kontext, durch die man deutlich zwischen Beschreibungs- und Widerlegungsnegation unterscheiden kann.
Tôi không biết chuyện đó. – Ich weiß das nicht. (Beschreibungsnegation)
Tôi có biết chuyện đó đâu. – Ich weiß das nicht (Widerlegungsnegation)
Mittels der in diesen Widerlegungsstrukturen liegenden Innenlogik có ... đâu, đâu có, đâu phải làm gì, làm gì có, nào, nào có, usw. ist es im Vietnamesischen einfach
erkennbar, dass man gerade eine vorherige Aussage widerspricht. Inzwischen kann man die Widerlegung im Deutschen meist durch den Kontext, die Situation oder andere Faktoren verstehen.
Zusätzlich liegen in der vietnamesischen Sprache noch zwei Negationswörter đừng
und chớ vor, die nur in den Imperativsätzen eintreten. đừng und chớ tragen die
Bedeutung: den Hörer auffordern/bitten oder dem Hörer raten, eine
Handlung/einen Zustand aufzuhören oder etwas nicht zu machen:
Đừng nói vớ vẩn nữa. (Rede keinen Unsinn mehr.)
Chớ nên nói sự thật với nó. (Sag ihm nicht die Wahrheit.)
Im Deutschen dagegen sind keine solchen Negationswörter vorhanden, die mit sich bereits eine Aufforderung, eine Bitte oder einen Ratschlag wie đừng und chớ im Vietnamesischen bringen. Inhaltlich spielen die deutschen Negationsmittel keine Rolle bei der Darstellung einer Aufforderung, einer Bitte oder eines Ratschlags. Noch ein weiterer Unterschied zwischen den deutschen und den vietnamesischen Negationsmitteln ist, dass vulgäre Wörter im Vietnamesischen als Negationswörter
verwendet werden können. Dazu zählen sich „khỏi“, „đếch“, Namen der hässlichen
Tiere nach normaler Auffassung der Vietnamesen wie „cóc“ (Kröte), „khỉ“ (Affe),
gespenstigen Welt. Dieser Gebrauch wird im Deutschen bisher aber noch nicht von den Wissenschaftlern bestätigt.
Überdies ähneln sich das Deutsche und das Vietnamesische noch darin, dass in beiden Sprachen die Verben mit Negationsbedeutungen existieren: Verben des Zurückweisens und Verneinens, Verben des Verbietens und Abratens, Verben der Weigerung und des Unterlassens. Wenn von solchen Verben ein Nebensatz oder eine Infinitivkonstruktion abhängt, darf diese im Deutschen standardsprachlich nicht mehr negiert werden. Im Gegensatz dazu kann man im Vietnamesischen das
weitere Negationsmittel không (được) hinter diesen Verben behalten oder man kann
es auch weglassen:
Der Vater verbietet dem Sohn, auf der Straße zu spielen.
(* Der Vater verbietet dem Sohn, nichtauf der Straße zu spielen.)
Người bố cấm cậu con trai chơi ngoài đường. = Người bố cấm cậu con trai
không (được) chơi ngoài đường.
Aufgrund der Vielfalt an Negationsmitteln befinden sich in den beiden untersuchten Sprachen leicht verwechselte Negationswörter. Für die Deutschlernenden scheint es sehr schwierieg, kein und nicht, nicht und nichts, sowie keiner und niemand zu
unterscheiden, weil diese Wörter Unterschiede im Gebrauch aufweisen. Die Wahl zwischen diesen Wörtern bereitet den Lernenden immer viele Probleme.
Hypothesen über die möglichen Fehler der Vietnamesen beim Gebrauch deutscher Negationsmittel: Aus den oben genannten Unterschieden zwischen den Negationsmitteln im Deutschen und im Vietnamesischen ist es anzunehmen, dass die vietnamesischen Deutschlernenden viele Fehler bei der Verwendung der deutschen Negationsmittel machen können:
1. Es könnte sein, dass sie das Negationswort nicht an die falsche Stelle setzen. 2. Sie verwechseln kein mit nicht, nicht mit nichts, usw.
3. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sie wie in der vietnamesischen Sprache das Negationswort in der Fortsetzung eines negierenden Verbs noch behalten, obwohl es weggelassen werden muss, beispielsweise: „*Ich vergesse, den
Schlüssel nicht mitzunehemen“.
4. Darüber hinaus ist noch zu vermuten, dass die vietnamesischen
Deutschlernenden das Bejahungswort ja statt nein oder doch verwenden, um
eine negative Entscheidungsfrage zu beantworten, während man ja im
Deutschen nur auf eine positive Entscheidungsfrage antwortet.